VS1400 Intruder

An einem schönen Sommermorgen, es ist Samstag, fahre ich mit Juliane zum Motorradhändler. Ich brauche neue Handschuhe und möchte sehen, was der Dealer so auf Lager hat.
Wir rollen auf den Parkplatz und stellen unsere beiden Yamaha XT600 auf die Seitenständer.
Beim hineingehen sehe ich eine rote Suzuki VS1400 Intruder im Verkaufsraum. Ein gebrauchtes Motorrad in traumhaftem Zustand. Kurzentschlossen lasse ich die roten Kennzeichen montieren, damit ich mit diesem Schmuckstück eine Ausfahrt unternehmen kann.

vs1400-grDie ersten Kilometer habe ich mit dem tiefen Motorrad mein tun – solch Fahreigenschaften bin ich nicht gewohnt.
In Testberichten habe ich häufig von den sehr schlechten Bremsen und des sehr eigenwilligen Lenkverhaltens gelesen. Speziell diese Punkte interessierten mich daher natürlich besonders.
Das Lenkverhalten, das immer wieder bemängelt wurde, kann ich bereits nach den ersten engen Kurven nachvollziehen. Sebsttätig versucht das Motorrad, den Lenkeinschlag zu vergrössern, so dass man ständig Lenkkraft zum Kurvenaussenrand hin aufbauen muss. Diese Eigenart ist sehr gewöhnungsbedürftig, aber noch akzeptabel. Die Kritik an der Bremse jedoch kann ich nicht nachvollziehen. Die erforderliche Betätigungskraft ist zwar recht hoch, jedoch kommen dann auch zufriedenstellende Verzögerungen zustande. Und man sollte bei solch einem Urteil auch nicht vergessen, dass man nicht auf einem Supersportler sitzt. Bei adäquater Fahrweise sind jedenfalls die Bremsleistungen vollkommen ausreichend.
Beeindruckend ist für mich vor allem die Leistungsentfaltung des Triebwerks. Bereits bei tiefsten Drehzahlen stellt dieser Motor Drehmoment im Überfluss bereit. So stellt sich bei mir auch eine betont ruhige Fahrweise ein. Es macht mit diesem Motorrad auch Spass, auf freier Strecke einmal einfach nur dahin zu rollen und den Motor in tiefer Tonlage blubbern zu lassen. Dabei stampft der dicke Zweizylinder trotz des sehr geringen Drehzahlniveaus stets mit sattem Schlag los, wenn doch einmal Leistung abgerufen wird. Die Probefahrt erstreckt sich letztlich über eine Strecke von knapp 100km und bereitete mir jede Menge Freude.
Eine Woche nachdem ich die Intruder wieder auf ihren ursprünglichen Platz stellte drehe ich dann das erste mal den Zündschlüssel MEINER Intruder auf ON. Die Probefahrt war für mich so überzeugend, dass ich mich für den Kauf entschlossen habe. Die XT war für mich schon einige Zeit nicht mehr akzeptabel, da das Motorrad für meine Grösse und mein Gewicht zu unbequem ist. Bereits bei eigentlich kleinen Touren von knapp 100km hatte ich Schmerzen im verlängerten Rücken, so dass keine weitere Freude mehr aufkommen konnte. Dies soll nun mit der Intruder anders werden. Jetzt schaue ich auch wieder mit Vorfreude in die Zukunft, denn wir planen in Kürze einen Urlaub mit den Motorrädern in Südtirol. Der Gedanke daran, diese Strecke mit der T zurücklegen zu müssen, hatte mich schon einige Zeit belastet.
Das einzige, was mich an der Sitzposition noch stört ist der unmögliche originale Lenker. Ein regelrechtes Lenkgeweih streckt sich dem Fahrer entgegen und zwingt in eine recht unbequeme Haltung. Im Zubehör beschaffe ich mir eine 100cm Drag-Bar und höhere Riser, damit der Lenker nun nicht beim einlenken an den Tank schlägt.
Die Montage gestaltet sich aufwendig, weil die Kabel durch den Lenker und die Riser unter die Gabelbrücke zum Scheinwerfer verlegt sind, wo sie dann mit dem Kabelbaum verbunden werden. Eine Aussenverlegung, wie ich sie auch schon gesehen habe, ist füe mein ästhetisches Empfinden vollkommen indiskutabel, so dass ich den Lenker entsprechend bearbeite, um den Kabeln eben diesen Weg zu ermöglichen. Ich arbeite also die entsprechenden Öffnungen in den Lenker ein und fummele die Kabel durch den Lenker. Um die “Fliegenklatschen” vorn loszuwerden, habe ich mich dann entschlossen, Ochsenaugenblinker in den Lenkerenden zu verbauen. Ich finde, die Optik des Motorrades gewinnt durch diese Massnahme ungemein. Dann muss die ganze Kabelei im Scheinwerfer noch verbunden werden. Der TÜV hat nichts dagegen und mir gefällt es so eindeutig besser.
fuhrpark-grDie erste Probefahrt ist dann von einem AHA-Erlebnis begleitet. Sehr bequem sitzt man nun aufrecht auf dem Bike und cruist durch die Gegend. Besonders überrascht mich jedoch etwas anderes. Im Originalzustand hat die Intruder die recht unangenehme Eigenart, dass auf den Lenker in engen Kurven Kraft in Richtung Kurvenaussenseite ausgeübt werden muss, da er sonst zum Kurvenmittelpunkt einklappen würde. Dieser Effekt ist mit dem neuen Lenker vollkommen wie weggeblasen. Wie auf Schienen folgt die grosse Trude stur dem einmal gewählten Radius.
Jetzt machen auch lange Touren wieder Freude.
Sicher wird aus der Intruder durch den Umbau kein Kurvenräuber. Stets begleitet flottes fahren mit der Trude auch ein gewisses Eigenleben des Motorrades. Das muss man einfach so hinnehmen und sich darauf einstellen. Dann, wenn man dieses verwinden erst einmal zu ignorieren bereit ist, geht es mit dem Chopper bei Bedarf auf recht flott voran. Aber alles in allem erzieht das Motorrad dann doch eher zur Gelassenheit.

Ein paar Wochen später streife ich dann auch meine neuen Handschuhe, die übrigens nicht beim Motorradhändler gekauft wurden, über und breche mit Juliane auf, um einen Urlaub in Südtirol zu verbringen. Viel habe ich bereits über die Dolomiten gehört und gelesen. Ich freue mich, diese Gegend nun das erste mal live erleben zu dürfen.
Aber das ist eine andere Geschichte.

Leider habe ich dieses tolle Motorrad dann später wieder verkauft. Die Intruder ist im nachhinein das einzige Motorrad, dessen Veräusserung ich wirklich bereue.

vt1100ace-grSpäter habe ich dann noch einmal eine Honda VT1100C ACE gefahren. Dieses Motorrad hat für mich jedoch niemals solch einen Reiz ausgestrahlt, wie seinerzeit die grosse Intruder. Irgendwann einmal werde ich solch ein Motorrad wieder anschaffen und dann hegen und pflegen. Das Fahrgefühl mit der VS1400 ist speziell nach dem Lenkerumbau einzigartig gewesen. Ein solch entspanntes fahren konnte ich seitdem mit keinem anderen Motorrad mehr geniessen. Der absolut souveräne Motor, die entspannte Sitzposition und dazu noch der tiefe Ton und der satte Schlag beim beschleunigen ergeben zusammen eine einzigartige Verbindung, die einfach Spass macht.

Heute gibt es solche Motorräder, wie es die Intruder ist, leider nicht mehr neu zu kaufen. Im Jahre 2003 sind die letzten Truden über die Suzuki-Händler offiziell verkauft worden.

thomas-grEines dieser letzten Exemplare hat sich mein Bekannter Thomas gesichert. Schon vor knapp 20 Jahren, als die Trude erstmals vorgestellt wurde, träumte er von dem grossen Eindringling. Erst im Jahre 2003 erfüllte er sich dann tatsächlich den Traum, indem er bei der letzten Gelegenheit, dieses Motorrad neu zu erwerben, zugeschlagen hat.
Die heutigen Chopper sind keine Chopper, sondern Cruiser, die mit mächtigen Anbauten, Trittbrettern und massivem Erscheinungsbild daher kommen. Auch diese Kategorie Motorräder hat ohne Frage ihre Berechtigung. Allerdings gibt mir persönlich das mächtige Erscheinungsbild nichts. Ich mag eher die Beschränkung auf das wesentliche, was die ursprünglichen Intruder-Modelle erstmals serienmässig verkörperten.

Der Leistungswettkampf, der mittlerweile mit der 1800er Intruder und deren 125PS ja sogar den Cruiserbereich erreicht hat, passt in meinen Augen einzig in das Weltbild der häufig anzutreffenden Eisdielenfahrer, für die der Motorradtreffpunkt das Ziel ist, um dort oft hirnlos zu fachsimpeln. Für mich gilt eher der abgedroschene Spruch, dass der Weg das Ziel ist.
Zum entspannten fahren langen die knapp über 60PS der VS-1400 auf jeden Fall, zudem diese wenigen Pferde auch noch äusserst gut im Futter stehen und nicht über die Drehzahl abgerufen müssen. Die grosse Trude hat satt ausreichend Kraft in jedem Drehzahlbereich parat.
Wenn ich lange Autobahnetappen schnell hinter mich bringen will, dann hätte ich mich mit der 1400er Intruder eindeutig für das falsche Fahrzeug entschieden.

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