Es ist mittlerweile August 1990. Ich habe mich sehr gut an die Honda CBR 1000 F gewöhnt. Mit der Zeit habe ich auch das Gefühl für die Geschwindigkeiten wiedererlangt. Die einzige Ausnahme sind lange längere Autobahn-Etappen. Hier passiert es auf freie Strecke schon einmal, daß ich selbst erschrecke, wenn ich auf dem Tacho plötzlich einen Wert von 270 km/h und mehr ablese. Aber es ist wirklich begeisternd, wie sicher sich solche Geschwindigkeiten mit der CBR bewältigen lassen. Zu keiner Zeit habe ich auf dem Motorrad ein unsicheres Gefühl gehabt. Jetzt ist wieder Urlaub angesagt.
Der erste Alpentrip, vergangenes Jahr mit der SRX unternommen, sorgt dafür, daß wir dieses Jahr auch wieder diese Gegend besuchen. Wir, das bedeutet die CBR, Juliane und ich.
Juliane habe ich dieses Jahr kennen und lieben gelernt. Sie teilt glücklicherweise meine Begeisterung für Motorräder. Juliane stammt aus den neuen Bundesländern (Sachsen Anhalt) und kannte bislang diese Klasse Motorräder nicht. Simson, MZ und AWO waren in dieser Region die angesagten Fahrzeuge. So war ihr erster Kommentar, nachdem sie bei der ersten Sozia-Fahrt mit der CBR abstieg: „Ihr seid doch alle verrückt!“.
Mittlerweile hat sie sich an das Leistungspotenzial der Honda ebenso gewöhnt, wie ich.
Die CBR wird also mangels Gepäckträger abenteuerlich gepackt. Eine große Gepäckrolle und das Zelt müssen reichen. Beides wird mit Spanngurten am hinteren Haltegriff gefestigt. Dieser Griff ist ja eigentlich sowieso nur eine Einrichtung für den TÜV. In der Praxis ist er zum festhalten eher untauglich bzw. so wie heute, zur Gepäckbefestigung geeignet.
Wir fahren früh am Morgen los. Die Autobahn ist frei, so daß wir einen sehr guten Schnitt herausfahren. Mit einer kurzen Pause sind wir bereits knapp vier Stunden später in München. Von dort aus schlagen wir die Route nach Garmisch ein. In Oberau, wie noch vom letzen Jahr gewohnt, biege ich rechts in Richtung Ettal ab. Hier möchte ich bei der Pension, die mir letztes Jahr sehr gefallen hat, nach einer Unterkunft fragen. Leider erfahre ich, daß dieses Jahr die Festspiele in Oberammergau, einem Nachbarort von Ettal, stattfinden. Diese Festspiele finden nur alle zehn Jahre statt. Darsteller sind Laienschauspieler aus dem Ort. Weit über die Landesgrenzen hinaus ist dieses Spektakel bekannt und dementsprechend düster sieht es auch mit der Zimmerverfügbarkeit aus.
Wir versuchen es hier gar nicht erst weiter, sondern fahren zurück nach Garmisch-Partenkirchen. Hier werden wir sofort fündig. Wir teilen das Haus mit einem Schweizer Pärchen, die mit einer FZR 600 angereist sind.
Vorrangig fahren wir dieses Jahr noch einmal die Strecken des Vorjahres ab. Zwar kenne ich die Gegend bereits, aber mit der CBR macht es doch mehr Spaß, diese Region zu bereisen. Außerdem möchte ich auch Juliane die Schönheiten der Alpen zeigen. Deshalb fahre ich auch bewußt die schönsten Stellen des Vorjahres an.
Das Wetter dieses Jahr ist nicht so schön, wie vergangenes Jahr, jedoch regnet es kaum. Wir fahren in Richtung Kochelsee, als unmittelbar vor uns aus dem Gegenverkehr ein PKW zum überholen ansetzt. Ich weiche hart nach rechts aus und habe Mühe, die Honda auf dem Asphalt zu halten. Puh, das war knapp! Ich bin jetzt froh, daß wir nicht mit dem Auto unterwegs waren. Da sag noch einmal jemand, Motorradfahren sei gefährlich… Mit dem Auto wäre es hier unweigerlich zum Frontalzusammenstoß gekommen. Den Schreck noch in den Knochen fahren wir einen Imbiss an, um erst einmal einen Kaffee zu trinken. Zusammen mit einem Yamaha XT 600 Treiber sitzen wir an einem Tisch. Er stammt aus Hamburg und verbringt, ebenso wie wir seinen Urlaub in dieser Gegend. Er ist mittlerweile schon auf dem Heimweg. Drei Wochen Südtirol hat er bereits hinter sich. Nachdem wir ihm von dem Erlebnis mit dem Autofahrer erzählen, sagt er, wir sollten doch erst einmal nach Italien fahren. Dort wäre so etwas an der Tagesordnung. Nun, uns reichte dieses eine mal schon. Wir verabschieden uns wieder und fahren weiter. Die nun folgende Strecke zwischen dem Kochel- und dem Walchensee hat es wahrlich in sich. Sie ist Sonn- und Feiertags für Motorräder gesperrt. Eine sehr kurvige Straße mit hervorragendem Belag verbindet die beiden Seen. Wir beenden den Tag mit einem Umtrunk im Biergarten unserer Nachbarschaft.
Der Rest des Urlaubs ist nicht mehr sehr spannend, deshalb aber wahrhaftig nicht weniger schön. Allein die Heimfahrt gestaltet sich recht anstrengend. Wir haben sehr viel Verkehr, Stau, zähfließenden Verkehr- das ganze Programm. Wir brauchen sehr lange für die Tour. Auf den letzten Kilometern mache ich dann noch einen Flüchtigkeitsfehler, der fast in einer Katastrophe endet. Wir befahren zügig eine mir unbekannte, gut ausgebaute Landstraße. Dann verschätze ich mich gewaltig mit einer unübersichtlichen Rechtskurve. Viel zu schnell fahre ich sie an. Als ich meinen Fehler bemerke, haben wir schon ordentliche Schräglage, so daß an bremsen nicht zu denken ist. Ich gehe vom Gas und lege das Motorrad noch weiter in die Kurve. Ich möchte nicht auf die Gegenspur, da ich den weiteren Verlauf der Straße nicht einsehen kann. Die Verkleidung hatte bei der Honda öfter schon am Boden geschliffen. Jetzt aber schleift nicht nur die Verkleidung. Auch die rechte Fußraste klappt ein und das so plötzlich, daß ich meinen Fuß nicht mehr zurückziehen kann und einklemme. Mein Entschluß, nicht auf die Gegenfahrbahn zu fahren, wurde belohnt. Zum einen kam mir wirklich ein Auto entgegen, zum anderen habe ich die Kurve geschafft.
Wir halten ein kurzes Stück später an und betrachten die Umstände. Mein Knöchel ist dick und blau, die Verkleidung stark abgenutzt und sogar Julianes Stiefel ist angeschliffen. Dieser Vorfall hat mir gezeigt, daß ich mit meiner Fahrweise nicht langsam unterwegs bin, dennoch aber jede Menge Reserven habe. Ich selbst habe in diesem Moment nicht geglaubt, daß die Haftfähigkeit der Reifen ausreicht.
Mit bedacht fahren wir weiter nach Hause. Dort angekommen, wird die Honda gleich in die Garage gestellt. Abgeladen wird morgen. Wir wollen uns einfach nur noch hinlegen und schlafen.
Wir sind zu Haus- Motor aus!